Immersive Learning in der Corona-Krise
Jennifer Fritz erläutert, welche Potenziale gerade Virtual Reality in der Corona-Krise bietet
Schüleraustausch in den USA, Auslandssemester in China – Immersion, also das Eintauchen in ein anderes (Sprach-) Umfeld, ist das weltweit erfolgreichste und am gründlichsten erforschte (Sprach-) Lernverfahren. Auch Virtual Reality (VR) – häufig in einem Atemzug mit Augmented Reality (AR) genannt – funktioniert nach diesem Prinzip.
Während bei AR die „echte“ Realität um virtuelle Elemente ergänzt wird, tauchen wir bei VR vollständig in die virtuelle Welt ein.
Seit Beginn der Corona-Krise sind Immersion und Virtual Reality stärker zum Thema geworden. Wer hat nicht schon an Zoom- oder Skype-Meetings teilgenommen, um Social Distancing so gut es geht zu überbrücken und verbunden zu bleiben? Und doch stoßen diese Meetings an ihre Grenzen, etwa wenn es darum geht, wirklich Augenkontakt herzustellen, Einzelgespräche zu führen, in einen anderen Raum einzutauchen. Hier kann VR helfen.
Jennifer Fritz hat als Konzepter, Storyteller und Consultant bereits für Firmen wie die Virtual Identity AG und die imc AG gearbeitet. Ihre Leidenschaft gilt dem digitalen Lernen und Lehren. Als ehemaliges Mitglied des Ersten deutschen Fachverbands für Virtual Reality (EDFVR) weiß sie, dass die Zukunft in diesem Bereich der Virtual und Augmented Reality gehört. Seit Beginn der Corona-Krise sieht sie eine Entwicklung hin zu Social Virtual Learning.
Die Konzepterin, Storytellerin und Beraterin beobachtet: „Plötzlich gehen Dinge, die wir uns vor ein paar Wochen noch gar nicht vorstellen konnten.“
Hallo Jenny, welche Rolle spielen Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) in deinem (Arbeits)Alltag?
Jenny: Beides sind unglaublich spannende neue Technologien, die sich gerade erst richtig entwickeln und die noch viel Raum zum Experimentieren bieten. Im Privaten nutze ich sie sehr gerne zur Unterhaltung: Zum Beispiel Wonderscope, um Geschichten in AR zu erleben, oder Beat Saber für VR Sport.
Auch in meinen Projekten arbeite ich, wo immer es sich anbietet, mit den Technologien. Ich glaube nämlich, dass AR und VR sowohl im Lernen als auch im Geschichtenerzählen völlig neue Möglichkeiten bieten.
Momentan scheuen noch viele Auftraggeber die Kosten und Technik. Aber gerade in der Corona-Krise kann speziell VR die Einsamkeit des Social Distancing überbrücken und das Präsenzgefühl bieten, das allen im Homeoffice fehlt. Das kann das tägliche Meeting in VR sein, aber auch Weiterbildung oder sogar Onboarding. Seit Wochen sitzen die Menschen im Homeoffice und es kommen stetig neue Mitarbeiter hinzu. Unternehmen, die jetzt schon ihr Onboarding-Trainings in VR umgesetzt haben, sind hier eindeutig im Vorteil.
Mit Onboarding sprichst du einen neuen, spannenden Bereich an. Weit verbreitet ist sicherlich die Aussage: VR eignet sich insbesondere zum Trainieren von Hochrisiko-Szenarien – Welche weiteren Anwendungsszenarien gibt es noch?
Jenny: VR eignet sich natürlich ideal für Gefahren-Simulationen und Prozesse mit wertvollen Rohstoffen. Aber auch wenn es gerade nicht genug Trainingsstationen gibt, machen VR-Trainings Sinn.
Wieder kann ich ein gutes Beispiel aus der aktuellen Corona-Krise nennen. Diese gilt sicherlich als Hochrisikosituation für medizinisches Personal. Ein neues VR-Training trainierte bereits 17.000 Mediziner und Krankenpfleger für die Covid-Pandemie. Ein Präsenztraining mit so vielen Menschen wäre gerade nicht möglich. Die meisten Krankenhäuser sind im Regelbetrieb überlastet und haben keine Kapazität für dringend notwendige Trainings. Im virtuellen Raum konnten die Trainingsteilnehmer die neue Corona-Realität einüben, ohne sich gesundheitlich in Gefahr zu begeben oder gar Patienten zu gefährden. Zudem sparte man in der virtuellen Realität die wertvolle Schutzkleidung beim Training ein. Wir haben hier also sogar alle Faktoren in einem: Ausgleich fehlender Trainingsstationen, Schonung wichtiger Rohstoffe und gefahrenloses Training einer Gefahrensituation.
Wir sehen quasi täglich neue mehr oder weniger sinnvolle Szenarien. Bei Hochrisikothemen und beschränkten Kapazitäten hat sich bereits bewiesen, dass Virtual Reality Training sinnvoll ist. Alles weitere wird erst die Zeit zeigen. Grade in Zeiten von Social Distancing werden wir aber sicher auch Szenarien, die normalerweise in Präsenzveranstaltungen geschult werden, in VR sehen. Zum Beispiel Gesprächsführung und Verkauf.
Du hast auch bereits die Bedenken bezüglich der Kosten angesprochen. Sind AR- und VR-Lernszenarien mit Blick auf Hardware und Content-Erstellung nicht unglaublich aufwendig? Wie entscheide ich, ob es sich wirklich lohnt?
Jenny: Durch den Markteintritt der Oculus Quest vor einigen Monaten ist nun ein Headset auf dem Markt, dass für bereits um die 400 Euro volle Beweglichkeit im virtuellen Raum bei gleichzeitiger Bewegungsfreiheit ohne PC oder Raumtracker bietet. Das spart zusätzliche Kosten für Equipment. Außerdem ist das Head Mounted Display (Anm. der Redaktion: AR Glasses) einfach zu bedienen. Damit haben wir zumindest auf der HMD-Seite eine günstige Option.
Bezüglich der Content-Erstellung kommt es darauf an, was die Firma möchte. 360°-Realaufnahmen bis hin zu hochkomplexen 3D Animationen – ich denke, es sollte mittlerweile für jeden Geldbeutel eine Möglichkeit dabei sein. Der Markt hat sich stabilisiert. Dennoch sollte man bedenken, dass sich ein Virtual Reality Training erst ab einer gewissen Nutzerzahl richtig lohnt. Zu Beginn eines Projekts empfiehlt es sich daher unbedingt, gemeinsam mit dem Dienstleister eine Analyse der Zielgruppe, Bedarfe und Rahmenbedingungen durchzuführen. Daraus ergibt sich dann eine Empfehlung, welches Format und welche Technik gewählt werden sollte.
Was ist bei der Konzeption von VR und AR Experiences zu bedenken? Hast du konkrete Tipps?
Jenny: Hier muss man natürlich stark unterscheiden. AR findet ja auf sehr unterschiedlichen Geräten statt – vom Smartphone über das Tablet bis zur Datenbrille. Es kommt stark drauf an, wie groß das Device ist. Man sollte stets darauf achten, dass die Bedienbarkeit – ob nun durch Gesten oder Touch – nicht zu komplex wird. Die Bedienelemente müssen einfach und übersichtlich sein. Nichts ist frustrierender als nicht zu wissen, wie man im Training vorwärtskommt. Bei beiden Technologien kann sich Sprachsteuerung und auch allgemein der großzügigere Einsatz von Audio und Audioeffekten anbieten. Je nachdem wie cineastisch das Produkt sein soll, sogar Musik.
Eine Weisheit aus dem „normalen” E-Learning bleibt auf jeden Fall auch bei den beiden neuen Technologien erhalten: Interaktivität fördert das Lernergebnis. Man sollte dem Lerner dementsprechend regelmäßig Anlässe geben, Dinge auszuprobieren, zu erforschen und mit den Lerninhalten und der Lernwelt zu interagieren.
Was muss ich bei der Einführung von AR/VR beachten – zum Beispiel mit Blick auf die Zielgruppe? Je jünger und digital-affiner, umso besser?
Jenny: Ich kenne genauso viele „junge Leute“, die nicht digital-affin sind, wie „Alte”, die digital-affin sind. Für mich ist das weniger eine Frage des Alters als des Wollens. Grundsätzlich schadet es nicht, eine Eingewöhnungsphase und ein Tutorial am Anfang eines Trainings einzuplanen.
Allgemein gilt zudem zu beachten, dass die HMDs ein gewisses Gewicht haben und man deshalb mit einer kürzeren Lernzeit als gemeinhin rechnen sollte.
Und es sollte nicht nur ein einmaliges Gimmick sein, damit man hip und am Puls der Zeit ist. Wer XR-Learning einführen will, sollte sich langfristig dafür entscheiden und mit einem Profi gemeinsam herausfinden, wo die sinnvollen Lernszenarien liegen, welche Geräte genutzt werden sollten und wie man Einführung und Wartung gestaltet.
Welche Tipps hast du neben Eingewöhnungsphase und Tutorials noch, um bei den Lernern Akzeptanz für die AR/VR-Lernanwendungen zu schaffen?
Jenny: Ich glaube das gerade ganz viel von ganz allein passiert. Die Corona-Not hat erfinderisch gemacht. Google Classrooms VR erfährt zum Beispiel gerade großen Zulauf. Aber auch Freizeitaktivitäten wie Reisen wurden notgedrungen auf die VR-Brille verlegt. Viele gehen auch schon mit (Web-)VR Anwendungen ins Museum oder Theater. Plötzlich gehen Dinge, die wir uns vor ein paar Wochen noch gar nicht vorstellen konnten.
Bisher hat sich bei mir das spielerische Heranführen an die neue Technologie ausgezahlt. Einfach mal eine VR-Brille mitbringen, sie aufsetzen lassen, ein paar einfach Anwendungen ausprobieren. Schon sehen viele, dass die Technologie Spaß machen kann und es nichts gibt, wovor man sich fürchten muss. Auch ein Fürsprecher-Team innerhalb der Firma zu haben, das sich gut damit auskennt und Fragen beantworten kann, kann bei der Einführung helfen.
Was sind derzeitige Trends auf dem Gebiet Immersive Learning und wo wird es noch hingehen?
Jenny: Ich denke der sicherste Trend ist wahrscheinlich, dass durch die Corona-Krise ein neuer Drang zum gemeinsamen virtuellen Lernen entstanden ist. Social Learning und Virtual Reality waren schon vor der Corona-Krise auf allen Trendlisten, aber jetzt erleben wir die Entwicklung hin zu Social Virtual Learning. Hier werden wir sicher in den nächsten Monaten weitere Produkte auf dem Markt strömen sehen.
Ich glaube zudem, dass wir verstärkt eine Integration von WebVR Schnipseln in „normale” Trainings sehen werden, da man sich darüber sehr gut an den neuen Trend herantasten kann.
Vielen Dank Jenny für das spannende Interview!
Ansprechpartner
Seit 2014 bin ich Teil des Marketing & Communication-Teams bei der imc. Mein Herz schlägt für kreative Kampagnen, spannenden Content und digitale Innovationen. Mein Ziel ist es, das Thema Digitalisierung erlebbar zu machen – verständlich und einfach auf den Punkt. Meine Leidenschaften neben dem Beruf sind gute Bücher und Sport.
Über Feedback zur Reihe freue ich mich jederzeit an [email protected].